Die Kiev 19, eine verkappte Lomo-Nikon?

Kiev 19 mit Helios 50/2

Was hat ein alter sowjetischer Fotoapparat in einem Nikon-blog zu suchen? Nun, diese überraschende Kamera ist seltsamerweise mit dem Nikon-System kompatibel, denn sie hat das Nikon F-Bajonett. Produziert ab 1985 in der alten Waffenfabrik „Arsenal“, in Kiew, damals Sowjetunion.

Schnellspannhebel und Auslöser

Nach dem zweiten Weltkrieg gelangten Werkzeuge und Maschinen aus den Zeiss-Ikon-Werken Dresden in die Ukraine, zu „Arsenal“ (Завод Арсенал), wo schon seit 1764 Waffen fabriziert wurden. Hier wurden also nun fortan Kameras hergestellt, und dabei munter vom Westen kopiert. So entstanden Klone der Messsucherkamera Contax (Kiev 2 bis 5) und der Mittelformat-Hasselblad (Kiev 80/88), die den Originalen frappierend ähnelten. Auch die Minolta 16 und die Minox 35EL wurden kopiert. Das Nikon F-Bajonett wurde ab 1977 an den Eigenkonstruktionen Kiev 17 – 20 verwendet. Warum auf den Nikon-Anschluss zurückgegriffen wurde, ist mir nicht bekannt, Kompatiblitätsgründe dürften es jedoch kaum gewesen sein. Vielleicht nur, um sich selbst Konstruktionsarbeit zu sparen; um Erlaubnis gefragt wurde bei den Japanern jedenfalls nicht. Das ist auch der Grund, warum diese Kameras nicht offiziell in den Westen gelangten: kein Importeur wollte wegen Patentrechtsverletzung vor Gericht landen.

Rückseite

Die Kiev 19 (Киев 19) ist eine robuste Konstruktion, an der man deutlich den Unterschied zwischen japanischer Feinwerktechnik und russischem Schwermaschinenbau zu spüren scheint.

Im Gegensatz zu heutigen Digitalkameras mit Ihren dicken Handbüchern ist die Bedienung der Kiev schnell erklärt, denn es gibt ja nur drei veränderbare Parameter: Blende, Zeit und Entfernung. Blende und Entfernung werden ganz normal am Objektiv eingestellt. Das Verschlusszeitenrad aber befindet sich ungewohnter Weise an der Vorderseite des Gehäuses. Der senkrecht ablaufende Metalllamellenschlitzverschluss erlaubt Belichtungszeiten von 1/2 bis 1/500 sek und B. Die Kamera verfügt immerhin über einen eingebauten TTL-Belichtungsmesser: mittels zweier Leuchtdioden wird die korrekte Belichtung eingestellt. Dafür muss aber die Abblendtaste gedrückt werden, denn es wird mit der eingestellten Blende gemessen (Gebrauchsblendenmessung). Eine Blendenkupplung zum Belichtungsmesser wie bei den Nikons gibt es nicht. Neben dem Hotshoe befindet sich eine X-Buchse für Blitze mit Kabelanschluss.

Kiev 19 mit AFS-Nikkor 17-35/2,8

Standardobjektiv zur Kiev war ein  50er mit Lichtstärke 2,0 namens Helios-81N (Гелиос-81Н), das über hervorragende Abbildungseigenschaften verfügen soll. Dieses Objektiv kann auch an modernen Nikon Digitalkameras verwendet werden, die über eine AI-Kupplung verfügen. Andersherum können alle Nikon-Linsen bis hin zu AFS-Nikkoren an der Kiev angeschlossen werden, wenn sie über einen Blendenring verfügen. Auch alte non-Ai-Nikkore sind kein Problem, eine Ai-Kupplung wird ohnehin nicht benötigt.

Haptisch und akustisch erinnert die Kiev 19 an die alte Nikkorex F, ohne jedoch deren konstruktive Merkmale zu übernehmen. Sie wirkt zwar recht robust, dabei jedoch sehr grobschlächtig. Als Kultkamera für Lomografen mit Nikon-Objektiven ein Geheimtip!

Ich biete diese Kamera jetzt auch in meinem shop an.

Zum weiterlesen:

Wikipedia

camerapedia

sovietcams.com

 

4 Gedanken zu „Die Kiev 19, eine verkappte Lomo-Nikon?

  1. Ralf Peter Müller

    Hallo!

    Ein paar Anmerkungen zu Ihren Ausführungen:
    – Auf Grund der Rationalisierungsmaßnahmen und Kosteneinsparungen wurden auch die Produktionen der Kiev / Nikon – Bajonett Gehäuse mit den Jahren und Modellreihen mehr und mehr vereinfacht und auf Kunststoffteile umgestellt. Daher sind die Gehäuse der Kiev 17 noch die robustesten und vom Gewicht her die schwersten, da die meisten Teile aus Metall sind.
    – Die auflagenstärkste Produktion erreichte die Kiev 19.
    – Das Helios 81 (6 Elemente in 4 Gruppen) ist eine Weiterentwicklung des des Helios 44 (58mm f2,0), und eine Kopie des deutschen Biotars 5,8cm/2,0. Zum Schluss wurde diese Objektiv noch als Arsat 50/2.0 bis zum Ende der 90er Jahre gebaut.
    – die ersten Produktionsjahre muss man die Kiev 17 wie eine non Ai Nikon F behandeln, d.h. das Objektiv Helios 81 passt durch den Überstand am Blendenring zur Fassung NICHT an Ai- Kameragehäuse! Erst ab ca. 1982 berücksichtigte Arsenal bei dem Helios 81 diese konstruktive Gegebenheit der Nikkore!
    – Erst ab ca. 1982 war das Helios 81 mehrfachvergütet.
    – Es gab von Anfang an von 20mm bis 1000mm eine sehr umfangreiche Auswahl an Festbrennweiten und ein schönes Zoomobjektiv, das Granit 80-200mm f4,5.

    Mit freundlichem Gruß!
    R.P. Müller

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    1. Nikonclassics Artikelautor

      Hallo Herr Müller,
      vielen Dank für diese interessante Ergänzung!
      Norbert Michalke, Nikonclassics

      Antworten
  2. Alex deLarge

    Hallo ersma! Bin gerade auf den Bericht über die Kiev 19 gestolpert. Da hatte wohl jemand Glück und hat ein solide verarbeitetes Gehäuse erwischt. Ich habe 3 Gehäuse, sehen aus wie aus dem Laden, aber eins schrottiger als das andere. Alle haben einen wackeligen Schnellspannhebel mit reichlich Leergang, ergo ist auch der Filmtransport dejustiert & Überlappungen vorprogrammiert, Belichtungsmessung absolut fehlerhaft, eine Transportwalze ist so schief eingebaut, daß sie die Perforation des Films oben zerreißt, die Zeiten laufen allesamt inkorrekt inkorrekt ab und das angebliche Nikonbajonet stellt sich als grobschlächtiger Scherz heraus: Mit seeeehr viel Feingefühl ist es mir gelungen, ein Helios an eine Nikon anzuflanschen, jedoch passt keines meiner Nikkore an die KIEV .
    Da war wohl Genosse Wodka in Qualitätssicherung tätig, für den überlegenen Sieg des Sozialismus!!!!

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  3. Ingo Müller

    Hallo Herr Michalke,

    Durch diesen Blog neugierig geworden, habe ich mir eine Kiev 19 mit einem Helios 50mm f/2 besorgt. So klobig wie befürchtet kam sie mir dann doch nicht vor. Sie macht einen sehr soliden und robusten Eindruck. Von der Ausstattung, den Abmessungen und der Anmutung her ist sie am ehesten mit den mechanischen Nikkormaten zu vergleichen. Sie ist etwas höher gebaut und mit 715 g sogar etwas leichter. Durch die abgerundeten Kanten liegt sie angenehmer in der Hand als die Nikkormaten. An die Position des Einstellrades für die Belichtungszeit werde ich mich wohl nicht so recht gewöhnen, aber ansonsten macht sie bislang einen guten Eindruck. Die Photozelle ist träger als die CdS-Sensoren einer älteren Nikon, eher was für entschleunigte Fotografie. Man muss ihr schon ein oder zwei Sekunden geben, sich an veränderte Lichtbedingungen oder einer Blendenverstellung (Arbeitsblendenmessung) anzupassen. Wenn man gewohnt ist, mit einer Nikon zu arbeiten, kann das schnell zu Fehlbelichtungen führen. Das Bildzählwerk ist schlecht lesbar, kleine Ziffern auf dunklem Grund in einem tiefen Sichtschacht. Kein Vergleich zum Nikkormat-Bullauge. Alle F-Mount Objektive lassen sich an die Kiew 19 ansetzen, Sinn macht das aber nur für Objektive mit Blendenring.
    Das Helios 50mm f/2 ist dagegen enttäuschend. Die Blendenlamellen sind aus blankem, stark reflektierendem Metall. Das führt natürlich zu Problemen bei Streu- und Gegenlicht schon bei mittlerer Blendenöffnung. Ansonsten macht es einen soliden Eindruck und bei offener Blende ist die Abbildungsleistung gut. Doch wegen der blanken Blende ist es kaum alltagstauglich. Lediglich bei Nebel werden die Bilder recht stimmungsvoll. Das Objektiv lässt sich nicht an alle Nikon Kameras montieren. Bei einigen Modellen besteht Beschädigungsgefahr!

    Viele Grüße
    I. Müller

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