Ende der 70er Jahre tat sich merkwürdiges bei Nikon. Die Marketing-Leute stellten fest, dass neben den robusten Profi-Modellen und der semiprofessionellen FM/FE-Reihe ein weiteres Marktsegement abgedeckt werden sollte: eine einfache Kamera „für Anfänger und Frauen“ (sic!) sollte her. Also wurde ein spartanisch ausgestattetes Simpel-Modell konzipiert und vom italienischen Designer Giorgetto Giugiaro, der auch zeitgleich die F3 entwarf, in eine schöne Form gebracht. Heraus kam die Nikon EM, die kleinste und leichteste (und billigste!) je gebaute Nikon.
Sie verfügte lediglich über eine Zeitautomatik; manuelles Einstellen der Belichtungszeit war ausser der mechanischen M90 und B (für Zeitaufnahmen) nicht möglich. Bei
Verwacklungsgefahr warnte ein hohes Piepsignal. Vielleicht machten grade diese Features die EM so beliebt bei den schon erwähnten Anfängern, die sich nicht um technische Finessen scherten und einfach nur gute Urlaubsbilder machen wollten. Immerhin stand ja auch mit dieser kleinen Kamera, die übrigens nur in modischem schwarz erhältlich war, das gesamte Nikon-Objektivprogramm zur Verfügung. Zusätzlich kamen die preisgünstigen Series E-Objektive dazu. Die Nikon EM war recht beliebt: bis 1984 wurden immerhin über 1,5 Millionen Exemplare verkauft.
Dann aber gab es ein Nachfolgemodell, und das war eine Sensation: die erste Nikon mit einer Programmautomatik, Nikon FG genannt. Sie war genauso klein wie die EM, hatte aber zur besseren Handhabung links an der Frontseite einen praktischen Griff. Der konnte zur Montage des zusätzlich erhältlichen Motorantriebs MD-E oder MD-14 mit einer Münze abgeschraubt werden. In diese kleine Kamera wurde ein Haufen moderner Technik gesteckt: Verschlusszeitenanzeige mit einer LED-Reihe im Sucher, Programmautomatik, Zeitautomatik und manuelle Verschlusszeiteneinstellung sowie erstmalig eine TTL-Blitzmessung, bei der das während der Belichtung vom Film reflektierte Licht gemessen und der Blitz entsprechend gesteuert wird. Diese Methode der Belichtungsmessung beruhte auf Patenten von Minolta und wurde auch an der Olympus OM-2 verwendet.
Von der Ausstattung her ist die FG also eine vollwertige Spiegelreflexkamera, die kleinen Abmessungen und das dank Leichtbauweise sehr geringe Gewicht von nur 490 Gramm macht sie zu einer idealen Reisekamera. Deshalb ist sie auch ein kleiner Nikonclassics-Geheimtip, denn die Möglichkeiten dieser völlig zu Unrecht fast in Vergessenheit geratenen Schönheit werden immer noch unterschätzt. Sie war damals übrigens in silberner und in schwarzer Ausführung erhältlich, wobei letztere weit weniger beliebt war und deshalb heute eher selten zu finden ist.
1984 erschien die FG-20, eine abgemagerte Version der FG. Es fehlten Programmautomatik, TTL-Blitzbelichtungsmessung und Belichtungskorrekturskala. Die LED-Reihe im Sucher wurde durch eine billigere Zeigeranzeige ersetzt, manuelle Zeiteneinstellung ist aber weiterhin möglich. Der abnehmbare Handgriff entfiel, aber die kompakten Maße blieben erhalten, und so ist die FG-20 eigentlich eher eine verbesserte EM (und so wurde sie auch vermarktet).
Erhältlich sind diese schönen Kameras natürlich auch heute noch – mit etwas Glück – bei Nikonclassics!
Die Nikon EM besticht durch eine sehr helle Einstellscheibe und einen leise ablaufenden Motor Drive MD-E; ohne diesen finde ich den abknickenden manuellen Filmtransporthebel das Gegenteil von „ergonomisch“. Beim MD-E stört der Betrieb mit teuren AAA-Batterien, aber es gab meines Wissens auch einen Einsatz für AA-Batterien. Mit MD-E ist die EM auch für größere Hände anfassbar. Meine persönliche Bekanntschaft mit dieser Plastik-Kamera war nur kurz, weil sie mir schon nach wenigen Monaten aus der Hand auf den Fußgängerweg fiel, die Batterieabdeckung des MD-E abbrach und das Gehäuse im Bereich der ASA-Einstellung/Rückspulkurbel nicht nur riss, sondern darunter auch die darunter befindliche, billigst auf Plastik gedruckten Leitungen zerbrochen waren. Kommentar von Nikon: „Eine Reparatur ist wegen des geringen Wertes der Kamera nicht zu empfehlen.“ Das angesetzte heavy metal Nikkor 2/50 hatte dagegen keinen Schaden genommen. Empfehlung: Nikon EM ja, wenn man sie sehr sorgsam behandelt – achtsamer jedenfalls als die damals verfügbaren Nikon-„Dampfhämmer“.
Ein Schwachpunkt der EM ist das Bildzählwerk. Die erste gebraucht gekaufte EM ließ ich zurückgehen, da der Bildzähler irgendwo in den 20ern festhing und beim Öffnen der Rückwand nicht auf 0 zurückging. Äußerlich gab es Anzeichen eines leichten Schlagschadens. Die zweite EM zeigte den gleichen Defekt ohne Anzeichen äußerer Einwirkung. Wie wahrscheinlich ist es, zweimal Kameras mit dem gleichen Schaden zu erwischen, wenn es nicht ein Schwachpunkt dieses Modells ist? Eine Internetrecherche verstärkte den Verdacht. Solang der Zähler irgendwo in 20ern festhängt, ist das kein größeres Problem. Hängt er jedoch bei 0 fest, ist die Kamera so gut wie unbrauchbar, da die Belichtungsautomatik den Dienst versagt und der Verschluss nur noch mit der mechanischen 1/90s ausgelöst werden kann.